Unbedankt
Es
war eine grosse Entscheidung, welche die Vertriebenen nur wenige Jahre nach dem Krieg und der Nachkriegstragödie getroffen
hatten. Es war eine Entscheidung, die von menschlicher Grösse ebenso zeugte wie von historischem Weitblick, der so manchen
der heutigen, sich für Staatsmänner (und –frauen) haltenden Akteure vor Neid erblassen lassen müsste.
Die am 5. August vor 60 Jahren verabschiedete
Charta der Heimatvertriebenen ist jedoch zugleich auch ein Dokument des Abschieds – dem von der politischen Bühne
Wenn es die Historiker einmal besser meinen mit den Vertriebenen, werden sie ihnen dafür ein Denkmal in den Geschichtsbüchern
errichten. Verdient hätten sie es ja schon längst. Sie haben nicht nur auf Rache und Vergeltung für das erlittene
Unrecht verszichtet, sondern schon lange, bevor es andere begriffen haben, die europäische Integration als Zukunftsperspektive
des Kontinents dargestellt.
Andere
Vertriebenengruppen in anderen Teilen der Welt haben sich weniger konziliant verhalten. Die nur kurz nach den Sudetendeutschen,
Karpatendeutschen, Siebenbürger Sachsen, usw. Aus ihrer Heimat vertriebenen Palästinenser haben sich für einen
ganz anderen Weg entschieden. In ihrer Aussichtslosigkeit und Verzweiflung setzten sie auf das Prinzip Aug’ um Aug’,
Zahn um Zahn. Und als auch das nichts half, gingen sie darüber noch hinaus, indem sie nicht nur die für ihr Schisksal
Verantwortlichen angriffen, sondern völlig unschuldige Menschen mit Terror überzogen.
Es ist die deprimierende Lehre dieser Geschichte, dass
Wohlverhalten nicht, Aggression dagegen sehr wohl belohnt wird. Während die deutsche Vertriebenenproblematik heute nur
noch von den Betroffenen als Problem betrachtet wird, sich die Politik aber längst davon verabschiedet hat, steht der
aus der Palästinenservertreibung resultierende Nahostkonflikt auf der weltpolitischen Agenda ganz oben. Und man hat den
Eindruck, als sorgten palästinensische Extremisten weiter erfolgreich dafür, dass dieser Konflikt eine Causa Prima
bleibt. Die Palästinenser werden ernstgenommen. Kein US-Präsident, kein europäischer Staats- oder Regierungschef
kommt an ihnen auf der internationalen Bühne vorbei. Mittlerweile herrscht globaler, auch von Israel weitgehend akzeptierter
Konsens, dass das Heimatrecht der Palästinenser mit einem eigenen Staat verwirklicht werden muss. Was wäre auch
die Alternative: Noch mehr Terror, noch mehr unschuldige Opfer, noch mehr Tränen?
Die volksdeutschen Vertriebenen haben sich für den Weg des
Konsenses und Ausgleichs entschieden. Sie haben nicht mit der grausigen Perspektive eines Guerillakrieges gedroht, nicht den
Vertreiberstaaten ewige Feindschaft geschworen und nicht auf Konfrontation gesetzt. Und das war gut so. Man stelle sich nur
vor, weniger verantwortungsbewusste Menschen hätten ihr unendliches Leid damals in Aggression verwandelt. Sie hätten
natürlich niemals mit dem Verständnis rechnen können, das den Palästinensern entgegengebracht wurde und
wird, aber sie hätten Europa seiner friedlichen Perspektive berauben können. Sie haben das nicht gewollt, sondern
in beispielloser Grösse die Hand zur Versöhnung ausgestreckt.
Der Verzicht auf jede Aggression blieb jedoch unbedankt. Vielleicht auch deshalb, weil von
Deutschen nach dem Krieg sowieso nichts anderes erwartet wurde, als die stille Duldsamkeit eines gebeugten Tätervolkes,
welches nicht aufzumucken hatte. Aus der heutigen Perspektive aber wäre es angebracht, sich noch einmal vor diesen Menschen,
die damals wohl auch über ihren eigenen Schatten springen hatten müssen, zu verneigen. Es wird die eine oder andere
Sonntagsrede geben, in der dieser Dank abgestattet wird. Aber ein der Bedeutung der Charta angemessenes Gedenken wird es weder
in Deutschland noch in Österreich geben. Den Vertriebenen wird mit diesem Undank einmal mehr bedeutet, dass man sie als
Menschen betrachtet, die längst nicht mehr auf der politischen Agenda stehen.
Eigentlich tun sie das nicht mehr seit 60 Jahren, als sie der Politik
mit ihrer Charta am 5. August 1950 signalisiert hatten: Keine Angst, wir machen keine Probleme!
Manfred
Maurer, Linz
Kommentar
in Sudetenpost, Folge 8, 5. August 2010